TOTUS TUUS, MARIA !

Das Erbe des Lichts

Weihnachtsbetrachtung

Myriam van Nazareth

Gott setzt Zeichen, und bezeugt dadurch Seine Gegenwart und Sein Wirken. Die Tatsache, dass die Seelen Gott 'unter normalen Umständen' weder sehen noch hören können, ist nicht darauf zurückzuführen, dass es Ihn nicht gäbe, sondern darauf, dass die Seelen seit der Erbsünde nicht mehr die Heiligkeit besitzen, die erforderlich ist, um Gottes Gegenwart spontan wahrnehmen zu können. Gott will Sich trotzdem nicht ganz der Wahrnehmung Seiner Geschöpfe entziehen, denn dies wäre nicht mit Seiner vollendeten Liebe im Einklang. Somit setzt Er Zeichen, jeden Tag unzählige Male, und versucht dadurch, die Seelen auf ihrem Weg zur Heiligung, dem Weg zu Ihm zurück, zu fördern. Gerade aus demselben Grunde lehrt die Herrin aller Seelen hauptsächlich durch Gleichnisse, erkennbare Bilder, in deren Tiefe sich Zeichen und Bedeutungen verbergen, die unmittelbar auf Gottes Wirken und Seine Absichten zugunsten Seiner Schöpfung hinweisen.

Ein Göttliches Zeichen war auch der Stern von Bethlehem. Gott lieβ am Himmel ein Licht strahlen, dessen Bewegungen jedem Gesetz der Astronomie zu trotzen schienen, denn weder ein Stern noch ein Meteorit verhält sich so, wie es die Zeugen der Ereignisse um Bethlehem herum in diesem Lichtzeichen wahrnehmen konnten. Gott zeigte der Welt den Stern von Bethlehem als schweigenden Verkünder des Neuen Bundes in der Gestalt der Geburt Seines Sohnes, des Erlösers der Menschenseelen. Ein Himmlisches Licht als Botschafter von Gottes gröβtem Werk seit der Schöpfung... Gott lieβ tatsächlich auch in Bethlehem durch ein etwas verschlüsseltes Bild einiges von Seinen erhabenen Absichten erkennbar werden: Die Menschenseelen sollten aus ihrer Finsternis weggeführt werden, und zwar durch das 'Licht der Welt', den Messias und Erlöser, Jesus Christus.

Gott hatte die Menschenseele als Sein Meisterwerk vorgesehen. Dieses Meisterwerk sollte ein erkennbares Bauwerk Gottes sein, das aus Bausteinen erbaut sein sollte, die sich ihrerseits aus den drei wesentlichen Grundstoffen der Heiligkeit zusammensetzen: Liebe, Glauben und Hoffnung. Durch die Erbsünde und die unzähligen darauffolgenden Alltagssünden war die Liebe gegen Sündhaftigkeit eingetauscht worden, der Glaube (= das innere Licht) gegen die Finsternis der Täuschung, und die Hoffnung (= der innere Friede) gegen den Verlust des inneren Friedens, den die Seele nur in dem Maβe besitzen kann, wie ihr noch die letztendliche Bestimmung einer Lebensreise in der ewigen Glückseligkeit in Aussicht steht.

Wir, Christen, wissen alle, dass Weihnachten das Geburtsfest des Göttlichen Erlösers ist. Was manche von uns allerdings nicht mehr so klar erkennen, ist, was es denn mit Weihnachten wirklich auf sich hat? Welchen Unterschied hat die Geburt Jesu Christi in menschlicher Gestalt für die Menschheit und für die individuellen Seelen gemacht? Diese Frage lässt sich kaum in menschlicher Sprache beantworten, eben weil es sich um ein so unfassbar erhabenes Mysterium handelt. Es sagt sich so leicht: "Jesus Christus hat uns erlöst". Erkennt aber jeder Christ wirklich, was diese Worte bedeuten? Kann es sich jede Seele vorstellen, was es heiβen würde, in Ewigkeit von Gott, der Ewigen Liebe, dem Baum des Lebens, der Quelle der eigenen Existenz, getrennt bleiben zu müssen? Irgendwann geht dieses irdische Leben vorüber, und was steht der Seele dann bevor? Die Geburt Jesu Christi hat den Unterschied gemacht:

  • zwischen einem Leben in der ewigen Finsternis als Erbe einer endlosen Verkettung von Täuschungen, die jeden wahren Glauben an Gott als Urheber von allem Glück im nie erlöschenden Licht der vollen Erkenntnis der Wahrheit tötet, und einem Leben im Licht der Ewigen Glückseligkeit;

  • zwischen einem Leben in ewiger Aussichtlosigkeit, Angst und nie endender Qual wegen einer nie zu überbrückenden Kluft hin zur Quelle aller Liebe, und einem Leben im vollendeten inneren Frieden der Seele, die weiβ, dass Gottes Reich in ihr geboren werden kann, und die somit weiβ, dass jede Hoffnung berechtigt ist solange die Seele fest mit Gottes Mitwirkung am Aufbau ihres Lebensweges rechnet;

  • zwischen einem Leben in unheilbarer und nie verziehener Sündhaftigkeit mit verheerenden Folgen, die ewig dauern sollen, und einem Leben in der wahren Liebe der Seele, die für alle Ewigkeit erfahren darf, wie uneingeschränkt Sich Gott in die Seele ausgieβt, die sich Ihm und allen ihren Mitgeschöpfen in brennender Selbstverleugnung hingegeben hat.

Licht, Friede und Liebe: das Erbe des Neuen Bundes in drei Worten. Jede Menschenseele ist Erbe des Neuen Bundes. Um dieses Göttliche Vermächtnis in der Ewigkeit zu verwirklichen – oder noch genauer ausgedrückt: um es gemäβ dem Gesetz von Gottes Gerechtigkeit überhaupt verwirklichen zu können – muss die individuelle Seele die drei Bestandteile dieses Erbes beharrlich in das eigene Leben einzubauen bereit sein. Im Klartext heiβt dies, dass jede(r) von uns bestrebt sein soll, die Empfindung der wahren Liebe, des wahren inneren Friedens und des wahren Lichtes im eigenen Alltag zu vervollkommnen und die Früchte derselben um sich herum zu verbreiten. Die Seele, welche die Qualität dieser drei Kategorien von Bausteinen ihres Seelentempels ständig zu verbessern bestrebt ist, verwandelt sich allmählich in eine Burg von Heiligkeit. Betrachten wir mal, wieso:

  • Die Liebe ist die Kraft Gottes schlechthin, die Essenz des Göttlichen Lebens. Sie ist die Verfassung, durch welche sich die Seele vollkommen selbstlos dafür einsetzt, die Lebenskraft und die Empfindung des Wohlbefindens ihrer Mitgeschöpfe ständig zu steigern. Dieses Bestreben hegt sie ebenfalls Gott Selbst gegenüber, trotz der Tatsache, dass Gottes Lebenskraft und Sein Wohlbefinden gar nicht gesteigert werden können, denn diese sind in Ihm absolut vollendet. Die Seele in der Verfassung wahrer Liebe kann allerdings gar nicht anders, als sich vollkommen selbstlos für alles auβerhalb ihrer Selbst einzusetzen, damit es jedem Wesen (sogar einschlieβlich Gott) besser gehen möge. Dieser Antrieb wird in dem Maβe unwiderstehlicher, wie die Heiligkeit in der Seele wächst.

  • Der Glaube ist die Verfassung der Seele, die ihr Leben und ihr ganzes Verhalten auf der felsenfesten Überzeugung erbaut, dass es Gott gibt und dass Er ständig dabei ist, durch alle erdenklichen Wege und Mittel – allerdings unter Berücksichtigung der Grenzen, die Ihm Seine Gerechtigkeit und die hin und wieder anders ausgerichteten Handlungen und Bestrebungen der Seelen setzen – dem (ewigen) Wohl aller Geschöpfe Vorschub zu leisten. Der Glaube lässt sich somit als das innere Licht betrachten, dass die Seele daran hindern soll, sich zügellos nach eigenen Gesetzen zu verhalten. Eigene Gesetze, die sich manche Seele zwecks Verwirklichung eigener Zielsetzungen erschafft, führen sie vom alles beleuchtenden Licht Gottes weg, in die Finsternis hinein.

  • Die Hoffnung ist die Verfassung, durch welche die Seele so denken, empfinden und handeln kann, als hätte sie bereits jede Prüfung bewältigt, die sie davon abhalten könnte, ihre ewige Bestimmung bei Gott zu erreichen. Die wahre Hoffnung lässt der wahre innere Friede in der Seele Wurzeln schlagen, denn die Seele im Stand der wahren Hoffnung weiβ mit Sicherheit, dass Gott sie in jedem Engpass des Alltags trägt, und dass die Finsternis und alles Leiden nie das letzte Wort haben, sondern dass die Seele diese ganz im Gegenteil in Werkzeuge umgestalten kann, die ihr zu ihrem Heil verhelfen können.

Weihnachten ist die Geburt Christi, der Ewigen Liebe, des Lichtes der Welt, des Friedensfürsten. Jesus ist in menschlicher Gestalt geboren, damit jede Menschenseele dank der Frucht Seines vollkommen heiligen Lebens das verlorene Göttliche Erbe neu antreten kann. Die wahre Schönheit des Neuen Bundes liegt allerdings gerade darin, dass Gott ganz betont alles mit der Seele gemeinsam verwirklichen will. Wie könnte es Ihm denn eine besondere Freude machen, die Welt und die Menschheit ganz durch Seine eigene Kraft umzugestalten? Er weiβ ja Selber, dass Er dies tun könnte, es fehlt Ihm dazu nicht an Macht. Die schöpferische Macht Gottes kommt jedoch erst dann recht zum Ausdruck, wenn sich die Menschenseele vollkommen freiwillig dazu entschlieβt, sich Gottes Vorhaben voll anzuschlieβen. In jenem Falle ist jede Umgestaltung nicht lediglich ein Akt Göttlicher Macht, sondern wird sie zu einer Frucht der Vermählung zwischen Gott und der unbehinderten Liebe eines Geschöpfes zu seinem Gott. Diese Liebe ist es, welche den freien Menschenwillen aufschlieβt und diesen dazu bewegt, Gottes Macht wahrhaftig in Anwendung zu bringen. So hat Gott es in Seiner Weisheit verfügt als die Grundkraft jeder Änderung auf Erden.

Unsere Welt ist sehr finster geworden. Das ist sie zwar seit der Erbsünde, aber die heutige Finsternis wird von Gott womöglich als noch viel quälender empfunden als jene der Ära zwischen dem Sündenfall der ersten Seelen und der Geburt des Erlösers in Menschengestalt, weil sich die Menschheit seit jener Geburt an dem vollkommenen Licht des Vorbildes Christi orientieren kann. Der Stern von Bethlehem war Gottes Zeichen dafür, dass das Licht Gottes in die Welt kommen sollte und in jeder Menschenseele den Keim der Heiligkeit neu anzünden sollte. Jedem und jeder von uns obliegt die heilige Pflicht, Jesus Christus im Vorbild Seines Lebens und Seiner Lehre nachzufolgen, die uns im Evangelium hinterlassen worden ist und die uns in der Wissenschaft des Göttlichen Lebens in der Tiefe erklärt wird. Weihnachten ist somit für jede Seele ein Göttlicher Aufruf, alles daran zu setzen, die drei Typen von Bausteinen in ihrem Tempel zur Vollendung zu führen: die wahre selbstlose Liebe, das Licht des felsenfesten Glaubens, und den inneren Frieden (= den Frieden Christi!) der unerschütterlichen Hoffnung.

Der Stern von Bethlehem war mehr als ein Zeichen, durch welches die Weisen aus dem Osten Christus fanden: Er war eine Einladung an die Christen aller Jahrhunderte, sich so fest an Gott zu orientieren, dass sie selbst zu Lichtern werden. Es gibt keinen anderen Weg, die Finsternis unserer Welt zu beschämen. Unsere Welt war nie als Ort der Finsternis gemeint. Nicht Gott hat sie in einen solchen Ort verfallen lassen, sondern die Menschenseelen, die ihren freien Willen so umorientiert haben, dass die Liebe, das Licht des wahren Glaubens und der innere Friede der wahren Hoffnung den unterschiedlichsten gottesfeindlichen Einflüssen der Welt preisgegeben wurden. Weihnachten soll somit jede Seele dazu einladen, als wahre Nachfolgerin Christi neu geboren zu werden und das Erbe des Neuen Bundes endlich richtig anzutreten, denn darin liegt die erste Lebensberufung einer jeden Seele. In dem Maβe, wie die Seele diese Berufung zu gestalten bestrebt ist, soll ihr dieses Erbe wahrhaftig im Ewigen Leben zur Verfügung gestellt werden.

Im Herbst 2013